Urgeschichtliches Steinbauwerk

bei Alt-Hadersdorf

Das rätselhafte Steinbauwerk von Alt-Hadersdorf

Ein astronomisch ausgerichteter jungsteinzeitlicher Kalenderbau?

Johannes Hofer beim Steinbauwerk (Teilansicht)

Wintersonnewende in Kindberg   |   LINK Aus Gemeindezeitung Kindberg von April 2022 Seite 47

Im Sommer 1974 wurde von Einheimischen in einem Waldstück oberhalb von Alt-Hadersdorf (Gemeinde St. Lorenzen im Mürztal) ein rätselhaftes Steinbauwerk unter einer zirka einen halben Meter dicken Humusschicht ausgegraben, das offensichtlich von Menschenhand geformt wurde. Es kamen unter anderem sieben terrassenförmige Abstufungen zum Vorschein, gekrönt wurde die Anlage von einem riesigen dreiecksförmigen Deckstein mit einem Umfang von 6,2 Metern und einem Gewicht von zirka 8 Tonnen.

Sowohl einheimische Heimatforscher als auch offizielle Stellen, wie Facharchäologen oder das Bundesdenkmalamt in Graz, waren mit der Klärung dieser rätselhaften Steinformation beschäftigt. Doch eine klare Antwort blieb bislang aus. Wer dieses Steinbauwerk errichtet haben könnte, welche Funktion es gehabt hat, wie alt es sei, welchem Kulturhorizont es zuzuordnen sei, ob es eine Art urgeschichtlicher Kultbau oder der Rest eines mittelalterlichen Steinbruchs sei, all diese Fragen blieben bislang ungeklärt. Es gab auch keinerlei offizielle Bestrebungen, den Steinbau, der insgesamt geordnet und symmetrisch angelegt ist, unter Denkmalschutz zu stellen.

Maßgeblich beteiligt sowohl an der Ausgrabung wie an der späteren Erforschung dieser Anlage waren der damalige Kindberger Rechtsanwalt Dr. Hubert Stolla sowie der damalige Student an der Universität Graz Johannes Hofer.

Sowohl Dr. Hubert Stolla als auch Johannes Hofer vermuteten einen urgeschichtlichen Ursprung und versuchten dies im Weiteren nachzuweisen. Die Entgegnung der Facharchäologie war damals vor allem, dass  im Mürztal für den in Frage kommenden Zeithorizont, nämlich die Urgeschichte, keine Besiedlungen und Kulturepochen nachzuweisen seien. Dieses Bild hat sich inzwischen geändert, nicht zuletzt durch die privaten Recherchen und Bemühungen von Johannes Hofer. So konnte dieser im Jahre 2009 auf dem Karnerkogel bei Krieglach eine urgeschichtliche spätbronzezeitliche Siedlung aus der Zeit um 1200 vor Christus nachweisen. Zu den wenigen urgeschichtlichen Streufunden, die etwa aus der Zeit des Eisenbahnbaus durch das Mürztal um die Mitte des 19. Jahrhunderts stammten, kamen immer mehr Mosaiksteine dazu.

So konnte direkt unterhalb des Steinaltars auf dem eiszeitlichen Schwemmkogel von Mürzhofen ein urgeschichtlicher Siedlungsplatz mit einem Kulturkontinuum aus der frühen Bronzezeit (1800 v. Chr.) über die späte Bronzezeit (800 v. Chr.), Keltenzeit (ab 500 v.  Chr.) bis zur Römerzeit nachgewiesen werden. Im Oktober 2020 Bergung eines Gefäßes aus der Bandkeramikkultur um 4000 v. Chr. in Mürzhofen. Nur wenige hundert Meter oberhalb des Steinbauwerkes fand Johannes Hofer weitere rätselhafte Steinformationen und konnte dort ein urgeschichtliches Tonscherbenfragment im Alter von 4000 Jahren bergen. Noch ältere Besiedlungsspuren fanden sich durch Zufall im Wege einer Grundaufschließung nahe der Georgibergkirche bei Kindberg. Dort konnten ebenfalls viele urgeschichtliche Tonscherbenfragmente geborgen werden, die zum Teil in die Jungsteinzeit zurückreichen. Das älteste Fragment dort, gefunden im Zuge einer offiziellen Grabung 1996 bei der Kirche stammt aus der Lasinja-Kultur und ist 6000 Jahre alt. Die Lasinja-Kultur (4000 bis 2300/2200 v. Chr) kann als die älteste Bauernkultur des Mürztals angenommen werden, wobei die Kultivierung zunächst bis zu einer Seehöhe von 800 Metern reichte.

Die vom rätselhaften Artefakt ebenfalls nur wenige Kilometer entfernten Ofenberger Höhlen (Gemeinde St. Lorenzen im Mürztal) waren, wie die Höhlen des mittleren Murtales, an welches das Mürztal in nördlicher Richtung anschließt, bereits in der Altsteinzeit besiedelt. Dort fand man ebenfalls Tonscherbenfragmente aus der Lasinja-Kultur. (Die sehr geschützt und exponiert gelegenen Ofenberger Höhlen mit ihrem lange zurückreichenden Kulturhorizont sind aber im Gegensatz zu den Höhlen des mittleren Murtales archäologisch noch immer kaum erfasst.)

Die vielen aufgefundenen urgeschichtlichen Fragmente, auch in unmittelbarer Nähe des Steinbauwerkes, lieferten aber letztlich keinen Beweis für eine urgeschichtliche Kultfunktion des rätselhaften Steinaltars. Auch die Funde auf dem Georgiberg (Gemeinde Kindberg) sind weniger als zwei Kilometer Luftlinie vom rätselhaften Steinbauwerk entfernt. Johannes Hofer ließ nicht locker und versuchte, eine astronomische Ausrichtung der Steinformation nachzuweisen, um damit endgültig den urgeschichtlichen Ursprung belegen zu können.

Erst ein größerer Windwurf im Jahre 2017 lichtete den Wald an der Westseite des Steinbauwerks so weit auf, dass jetzt zur untergehenden Sonne genaue Messungen vorgenommen werden konnten. Dr. Johannes Hofer gelang es, zur Wintersonnenwende 2019 exakte Messungen durchzuführen und das Ergebnis war eine Sensation: Das bislang rätselhafte Steinbauwerk war eindeutig astronomisch ausgerichtet, und zwar zur Wintersonnenwende. Messungen, die er am 20. Dezember und am 24. Dezember 2019 unter Mithilfe seiner Frau durchführte, zeigten, dass ein vorgelagerter Zentralstein an diesen Tagen noch kein Schattenbild warf, dass aber dieser Zentralstein, der offensichtlich auch die Funktion einer Sonnenuhr hatte, an den nachfolgenden Tagen und Wochen, in denen eben die Sonne weiter nach Norden wanderte, ein eindeutig messbares variables Schattenbild warf. Damit gab es erstmals objektive Daten, die sich unmittelbar und eindeutig auf das Steinbauwerk bezogen.

Eine genaue Untersuchung dieser Ergebnisse durch die Facharchäologen steht allerdings noch aus, ebenso eine offizielle Anerkennung als urgeschichtliches Denkmal. Inzwischen besuchen sehr viele Menschen, auch in Familiengruppen, aus Nah und Fern dieses noch immer rätselhafte Steinbauwerk. Selbst aus Deutschland und den USA kamen Interessierte. Es ergeben sich derzeit die allergrößten Schwierigkeiten, das Interesse der Facharchäologen auf dieses – möglicherweise älteste Steinbauwerk der Steiermark zu lenken, und das, obwohl durch Einheimische immer mehr Fakten und Befunde zum Vorschein kommen.

 

Dr. Johannes Hofer, Kindberg

November 2020